Naturstudien und Inspirationen

Als Designer, aber auch als Nebelschnecke fällt mein Blick auch beim banalsten Spaziergang immer wieder auf Materialien und Strukturen, wie sie sich in der Natur wiederfinden. So wie auch bei einem meiner Ausflüge in den ersten frühen Frühlingstagen gleich hier hinter der Grenze in Spicheren im Nachbarland Frankreich, nur eine Nebelschneckenspur entfernt von meinem Nebelschnecken-Zuhause. Ich mag hier im Saarland einfach die Nähe zu Frankreich, man fährt mal eben schnell ein Baguette kaufen, das einfach anders schmeckt als beim Bäcker um die Ecke, und ein bisschen ist es wie im Urlaub, wenn man die entgegenkommenden Spaziergänger mit einem freundlichen „Bonjour” begrüßt, es macht einfach mehr Laune als das tröge „Hallo”. Und die Spicherer Höhen sind auch ein geschichtsträchtiger Ort, aber ich schweife ab in alte längst vergessene Zeiten. Zurück zur Natur.

Es war gerade die Zeit der ersten Knospen an Bäumen und Sträuchern,so dass die Natur ihre Wunder besonders gut sichtbar preisgab. Ich hatte meine Fotokamera dabei und spazierte absichtlich etwas abseits der Wege über die Feldflächen und in die Sträucher, hinweg über Gräben und verflixt tiefe Löcher im Boden. Ein leises Erahnen der neuen Jahreszeit empfing mich, und langsam, mit jedem Schritt, den ich weiter ging, eröffnete sich mir Neues und ungeahnt Schönes. 

Im Verlauf des sich langsam dem Ende neigenden Winters können unsere Augen das Wunder des Frühlings oft erst nur langsam wahrnehmen, dabei sprengt sich die Kraft der neuen Jahreszeit bereits schon in allen Pflanzen nach aussen, denn sie konnten in der Ruhephase des Winters ihre Kräfte sammeln. 
An einem einzigen Tag kann sich plötzlich alles ändern. Grüne Halme brechen durch schwere fette Erdkrumen, die nächtlichen Partys der Wildschweine hinterlassen ihre Spuren auf den Feldern, und die großen Bälle der Misteln auf den alten Obstbäumen halten nun einen so ganz neuen und völlig anderen Zauber bereit als in der Weihnachtszeit. Die Luft ist sanft und das Licht mild, fast als müsse sich erst alles an die neue Zeit und die wärmeren Temperaturen gewöhnen. Die Natur gibt den Blick  frei auf ein Schauspiel, das man sehen, begreifen, spüren und riechen kann. 
All das hat mich wieder an die Material- und Strukturstudien meines Studiums erinnert. Jetzt ist die Zeit, in der alles beginnt und man die schönsten Vorlagen wie auf einem großen Tablett des Lebens präsentiert bekommt. Man muss nur zugreifen. Vieles von dem, das mir begegnet, vergleiche ich mit textilen Fasern oder Eigenschaften, die mich jetzt als Nebelschnecke beschäftigen. Die Natur birgt unseren größten Schatz und hält stets ein großes Potpourri an Mustern bereit, aus dem man schöpfen kann.

Für mich sind dies die Augenblicke, in denen mein Künstlerherz höher schlägt. Ich staune, wie weich und stofflich sich Moose auf einem gefallenen Baumstamm präsentieren können, beinahe so, als habe er sich ein grünes Mäntelchen aus weichem Fell übergezogen oder sich mal eben als Sofa verkleidet. Niedergedrückte Gräser auf dem Boden bilden feine parallel laufende linienförmige Strukturen und die hübschen Weidenkätzchen tanzen leicht und ganz beseelt von der süssen milden Luft Tango an ihrem Baum. Die zarten Blütenstände hoher Gräser im Hintergrund schwingen dabei im Rhythmus des Windes fröhlich mit. Ich möchte fast mittanzen, so sehr freut sich mein Herz. 
Mit all diesen Bildern tanke ich neue Kraft und behalte sie in meiner inneren Schatzkammer.

Ich finde Elefantenrüssel und Geistergesichter an alten verwitterten Bäumen und staune über die explodierenden farbigen Flechten bewachsener Äste. Fast scheint es, als hätte ein Maler seinen Pinsel in eine besonders grelle Farbe getaucht und sie damit geschmückt, denn man hält es für unmöglich, dass so eine Farbe natürlichen Ursprungs ist. Und wenn man ganz nah herangeht, erscheinen die Flechten wie der Korallenbewuchs in einem Riff in der Tiefe des Ozeans. Sogar die Rinde mancher Bäume hat sich ein Camouflage-Kleid angezogen, wie es schöner eigentlich nicht sein kann. Doch all das ist nur sichtbar, wenn die Farben des Winters die Bühne bereithalten, damit sich der Frühling in all seiner Pracht und Herrlichkeit zeigen darf.

Nun habe ich Ihnen wieder einen kleinen Einblick mehr in meine Arbeit gegeben, habe mit Ihnen geteilt, was mich bewegt und was mich inspiriert, und Sie haben sicherlich auch ein kleines bisschen hinter den Vorhang meiner Seele blicken dürfen. 
Natürlich braucht all das Zeit, bis es in meiner Arbeit Umsetzung findet. Viele dieser Eindrücke verdichten sich erst sehr viel später zu einer neuen Idee, manchmal auch sind es nur die Farben oder bestimmte Muster, die mir irgendwann wieder in einem Strickmuster begegnen. Dann erinnere ich mich an den schönen Tag, an die Freude und die Aufregung, die ich bei jedem Ooh und Aahh gespürt und in den Bildern festgehalten habe. Doch ohne die Natur, ohne den Einfluss von Schönheit, von Leben und Vergehen, ohne das Studium von Materialien und wie sie sich anfühlen oder welche Wärme sie abstrahlen, wie sie angeordnet sind, wie sie vom Wind bewegt werden oder dem Himmel entgegenwachsen, ohne all diese Eindrücke würde ich nicht so viel Freude an meiner Arbeit haben. 

Ich hoffe, Sie hatten Freude an der kleinen Exkursion. Ich verspreche ihnen, es werden noch so einige nachfolgen, durchaus auch mal mit der einen oder anderen „tierischen” Inspiration.

Öffnen Sie die Augen für Wunder! Herzlichst, Die Nebelschnecke.

 

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